Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

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Informationsmaßnahme der Agrarsozialen Gesellschaft e.V.
zur Gemeinsamen Agrarpolitik vom 27.-29.11.2002
in Zamosc/ Polen

- Dokumentation -

 
Die Agrarsoziale Gesellschaft e.V. unterhält seit einigen Jahren Beziehungen zu der südostpolnischen Gemeinde Zamosc, die inzwischen ASG-Mitglied ist. Regelmäßig nehmen Vertreter der Gemeinde an den Frühjahrs- und Herbsttagungen der ASG teil. Daraus entstand die Idee für eine gemeinsame Veranstaltung in Polen. Die dreitägige Tagung, die von der Europäischen Union gefördert wurde, setzte sich aus einer Vortragstagung mit deutschen und polnischen Fachleuten, Exkursionen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten sowie einer abschließenden Diskussion in Arbeitsgruppen zusammen.
 
Annähernd 150 Vertreter von Verwaltung, Politik, Verbänden sowie Landwirte waren Ende November in die Wojewodschaft Lublin unweit der ukrainischen Grenze gekommen, um zusammen mit Experten aus Deutschland und Polen über Herausforderungen für Landwirtschaft und ländliche Räume in der Region Zamosc nach dem EU-Beitritt Polens zu diskutieren.
 
Die Veranstaltung war insgesamt von einem großen Interesse der polnischen Teilnehmer an der europäischen Agrar- und Strukturpolitik und deren Umsetzung in Deutschland geprägt, aber auch von Einschätzungen über die Chancen für die polnische Landwirtschaft nach einem Beitritt. Zu der ASG-Delegation zählten neben Dr. Bentrup unter anderem Dr. Jochen Pfeiffer, Vorbeitrittsberater der EU im polnischen Landwirtschaftsministerium, der Geschäftsführer der Landgesellschaft Sachsen-Anhalt, Dr. Willy Boß, der Vorsitzende der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen, Peter Conelius, die stellvertretende Landfrauenvorsitzende der Kreisarbeitsgemeinschaft Wesermarsch, Helga Hoogendoorn, der Bürgermeister der Stadt Elsfleth, Diedrich Möhring, der Geschäftsführer der ASG, Dr. Dieter Czech, sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Karin Jürgens und Michael Busch aus der ASG-Geschäftsstelle.
 
Das Wissen über den bevorstehenden Beitritt in die EU sei unter der Bevölkerung noch sehr gering, berichtete der Gemeindebürgermeister, Ryszard GLlWINSKI. Auch hätten viele Bewohner/-innen Angst, dass mit der EU-Erweiterung ihre Kultur, Werte und Identität zerstört würden. Eine gute Vorbereitung auf den Beitritt sei dem Rat der Gemeinde deshalb sehr wichtig. Schneller als andere wollten sie in der Lage sein, die neue Finanzlage und die Gelder der EU zu nutzen.
 
Die gemeinsam mit der ASG organisierte Konferenz betrachte er als einen ersten wichtigen Auftakt für eine weitere Zusammenarbeit. Er sehe in der Veranstaltung zudem die Chance, für seine Gemeinde neue Wege, Perspektiven und Ziele zu finden und neue Partnerschaften zu deutschen Kommunen zu knüpfen.Dr. Hans-Hermann BENTRUP und der Gemeindebürgermeister, Ryszard GLlWINSKI eröffnen die Tagung
Dr. Hans-Hermann BENTRUP und der
Gemeindebürgermeister, Ryszard GLlWINSKI, eröffnen die Tagung
„Der Informationsbedarf in Polen über den bevorstehenden EU-Beitritt ist enorm“, fasste Dr. Hans-Hermann BENTRUP, Vorsitzender der ASG und Leiter der deutschen Delegation, seine Eindrücke zusammen. Dies gelte sowohl für den rechtlichen und administrativen Rahmen als auch für die Perspektiven der Landwirtschaft in einem größeren Europa. „Wir müssen die Aufklärungsarbeit intensivieren, um Vorbehalte und Ängste, die es insbesondere in der Landwirtschaft gibt, abzubauen“, forderte der frühere Staatssekretär im nordrhein-westfälischen und brandenburgischen Landwirtschaftsministerium.
 
Dabei sei es nicht damit getan, Broschüren zu verteilen. „Wir müssen den Dialog mit unseren polnischen Freunden verstärken und gemeinsam nach Lösungen suchen“, betonte Dr. Bentrup. Er verwies in diesem Zusammenhang auf das im kommenden Frühjahr vorgesehene Referendum über den polnischen EU-Beitritt. Vor allem in ländlichen Gebieten überwiege nach wie vor Skepsis gegenüber einer EU-Mitgliedschaft. Dem könne nur mit einer verstärkten Information der Bevölkerung entgegengewirkt werden, denn, so Dr. Bentrup, „es gibt keine Alternative zu einem Beitritt Polens“. Der ASG-Vorsitzende sieht in einer engen Partnerschaft mit Institutionen vor Ort und gemeinsamen Aktivitäten einen vielversprechenden Ansatz. Die ASG sei als Forum, in dem offen über Probleme und mögliche Lösungswege diskutiert werde, auf eine große Akzeptanz in Polen gestoßen.
 

Subsistenzbetriebe als großes Problem

Die Gemeinde Zamosc ist ein Zusammenschluss von 35 Ortschaften mit insgesamt rund 19 700 Einwohnern. Der Anteil der Landwirtschaft an der Beschäftigung liegt bei über 60 % und damit noch deutlich über dem Durchschnitt im agrarisch geprägten Ostpolen. Die Betriebe bewirtschaften im Durchschnitt 4,5 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche (LF) gegenüber einem Landesschnitt von rund 7,5 ha in Polen. Ein Arbeitskräftebesatz von etwa 30 Ak/100 ha LF gibt einen Hinweis auf eine erhebliche versteckte Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft der Region, die mit einer Arbeitslosenquote von knapp 30 % zu den wirtschaftlich schwierigsten in Polen zählt.
 
Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der Gemeinde hat infolge der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung in den 90er Jahren noch zugenommen. Der überwiegende Teil der Betriebe produziert nach Einschätzung Piotr Gradziuk von der Akademie für Landwirtschaft in Lublin, Außenstelle Zamosc, nicht für den Markt, sondern zur Deckung der eigenen Bedürfnisse. Er verwies auf einen geringen Bildungsstand gerade innerhalb der landwirtschaftlichen Bevölkerung, der einen Wandel zusätzlich erschwere.Dr. Piotr Gradziuk von der Akademie für Landwirtschaft in Lublin, Außenstelle Zamosc
Dr. Piotr Gradziuk von der
Akademie für Landwirtschaft
in Lublin, Außenstelle Zamosc
Die landwirtschaftlichen Böden in der Region weisen eine überdurchschnittliche Ertragskraft auf. Angebaut wird vornehmlich Getreide. Eine Reihe von Betrieben befassen sich mit Gemüseanbau. In der Milchviehhaltung überwiegen Kleinstbetriebe mit zwei und drei Kühen. „Unser Problem ist die zersplitterte Struktur“, erklärte Gradziuk. Wenigen Betrieben, die sich den Sprung in den europäischen Markt zutrauten und auf dieser Basis Investitionen tätigten, stünden eine Vielzahl von Höfen gegenüber, die nach einem EU-Beitritt kaum eine Überlebenschance hätten. Wie reibungslos diese Entwicklung verlaufe, werde von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. „Wir brauchen außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze“, so Gradziuk.
 

Maßgeschneiderte Förderprogramme

Nach Einschätzung von Dr. Jochen Pfeiffer sind die Vielfalt und die Gestaltungsmöglichkeiten, die die Förderpolitik der Europäischen Union für die ländliche Entwicklung und die Landwirtschaft bieten, in Polen noch weitgehend unbekannt. Nach wie vor konzentriere sich die politische Diskussion viel zu sehr auf die Frage der Direktzahlungen für die Landwirte und vernachlässige dabei, „dass die gemeinsame Agrarpolitik mehr bietet als Flächenprämien“. Aufgabe der Regionen sei es, ihre speziellen Probleme und Bedürfnisse heraus zu arbeiten und Vorstellungen für eine regionale Entwicklung zu entwerfen. Nach Darstellung von Pfeiffer ist das polnische Landwirtschaftsministerium gegenwärtig dabei, einen Maßnahmenkatalog für EU-finanzierte Programme zu entwickeln, um so den agrarstrukturellen Wandel in Polen wirksam zu begleiten.
 
Bestandteile eines Operationellen Programms für den Zeitraum von 2004 bis 2006 seien nach derzeitigem Diskussionsstand unter anderem die einzelbetriebliche Investitionsförderung, die Junglandwirteförderung, die berufliche Fort- und Weiterbildung, die Diversifizierung landwirtschaftlicher Aktivitäten sowie die Verbesserung der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte. Bei den diskutierten Begleitmaßnahmen gehe es um Agrarumweltprogramme, die Einführung einer Landabgaberente, die Förderung benachteiligter Gebiete, die Aufforstung landwirtschaftlicher Flächen sowie ein gesondertes Programm zur Unterstützung von Subsistenzlandwirten. Pfeiffer verwies auf Studien, nach denen rund 70 % der 2,25 Mio. polnischen Betriebe in diese Kategorie fielen, deren Haupteinkommen aus Renten und Gelegenheitsarbeiten bestehe und die etwa ein Drittel der gesamten polnischen Agrarfläche bewirtschafteten. Dr. Jochen Pfeiffer, Vorbeitrittsberater der Europäischen Union im polnischen Landwirtschaftsministerium
Dr. Jochen Pfeiffer, Vorbeitrittsberater der Europäischen Union im polnischen Landwirtschaftsministerium
Demgegenüber liege der Anteil der Vollerwerbslandwirte bei rund 10 %, der der Nebenerwerbslandwirte bei etwa 20 %. „Die größte Herausforderung für die polnische Agrarpolitik bilden die Subsistenzbetriebe“, betonte Pfeiffer.
 

Gegen zu enge politische Vorgaben

Insgesamt zuversichtlich äußerte sich Milchexperte Cornelius, praktischer Landwirt in der ASG-Delegation, zu den Perspektiven der polnischen Landwirtschaft. Er sehe beispielweise nicht, warum es den polnischen Milcherzeugern nicht gelingen sollte, die geforderten Standards für die Milchqualität zu erfüllen. „Was 98 % der europäischen Landwirte von Griechenland bis Portugal schaffen, schaffen Sie auch“, so Cornelius an die Adresse der Landwirte. Dabei stehe außer Frage, dass es in der Milcherzeugung einen strukturellen Wandel geben müsse. Beispiele aus vielen Regionen in Deutschland hätten gezeigt, dass dies ohne Verwerfungen möglich sei. Cornelius empfahl den Landwirten in der Region, aus den gegebenen Standortbedingungen das Beste zu machen. Eine intensive Gemüseproduktion biete sich auf den guten Böden ebenso an wie der Aufbau der Sauenhaltung in den kleinen Beständen.
 
Als ein entscheidendes Kriterium für eine erfolgreiche Entwicklung der Landwirtschaft nannte er die Zusammenarbeit zwischen den Landwirten. Dies gelte für die berufsständische Interessenvertretung, deren Zersplitterung unbedingt überwunden werden müsse, aber auch für das Angebot am Markt. Der Zusammenschluss zu Erzeugergemeinschaften mit dem Ziel, größere Mengen in gleichbleibender Qualität zu vermarkten, sei eine Chance, die auch die polnischen Landwirte nutzen sollten. An die Agrarpolitiker in Warschau und in den Wojewodschaften appellierte Cornelius, keine zu engen Vorgaben zu machen, etwa in der Skepsis und Interesse bei den polnischen Tagungsteilnehmern und -teilnehmerinnen
Skepsis und Interesse bei den polnischen Tagungsteilnehmern und -teilnehmerinnen
Investitionsförderung. „Verteilen Sie die Fördermittel so, dass den Betrieben die Chance gegeben wird, ihren Weg zu finden – sie werden es tun“, sagte der niedersächsische Kreislandvolkvorsitzende.
 

Frauen entscheidend für zusätzliche Einkommensquellen

Den Stellenwert einer beruflichen Fort- und Weiterbildung der Frauen in den ländlichen Regionen hob Helga HOOGENDOORN hervor. Die Bäuerin aus Nordenham wies darauf hin, dass es gerade die Frauen seien, denen für die Weiterentwicklung landwirtschaftlicher Betriebe eine entscheidende Bedeutung zukomme. Beispielsweise biete gerade die Region Zamosc mit einem Nationalpark in unmittelbarer Nähe und einer ausgesprochen schönen Landschaft vielfältige Möglichkeiten im Agrotourismus. Die vorhandenen Ansätze sollten genutzt und ausgebaut werden, empfahl Hoogendoorn. Ob sich daraus auch Möglichkeiten zum Aufbau einer Direktvermarktung ergäben, müsse geprüft werden. Insgesamt seien die Menschen jedoch gut beraten, diese Möglichkeiten realistisch einzuschätzen. Frauen erwiesen sich als überaus kreativ, wenn es darum gehe, zusätzliche Einkommensquellen für landwirtschaftliche Betriebe zu erschließen – „dies gilt nicht nur für Deutschland“. Hoogendoorn riet den Frauen in der Region, sich in einem Verband zu organisieren, um so ihre Interessen gemeinsam artikulieren zu können.
 

Flächenmanagement unerlässlich

Als unverzichtbar bezeichnete Dr. Willy BOß ein geordnetes Flächenmanagement, wie es die Landgesellschaften in Deutschland seit Jahrzehnten mit großem Erfolg praktizierten. „Der An- und Verkauf von Flächen, aber auch deren Tausch ist für eine erfolgreiche agrarstrukturelle Entwicklung von grundlegender Bedeutung“, sagte der Geschäftsführer. Ein Flächenmanagement sei unerlässlich, um wachstumswilligen Betrieben genügend Spielraum zu geben, aber auch um die Voraussetzungen für Infrastrukturvorhaben zu schaffen, etwa im Straßenbau. Auch bei der Umsetzung von Förderprogrammen komme den gemeinnützigen Landgesellschaften eine Schlüsselfunktion zu. Die Landgesellschaften in Deutschland verfügten über ein breites Know-How in der ländlichen Entwicklung. Boß erinnerte daran, dass die Landgesellschaften seit der deutschen Wiedervereinigung maßgeblich zur Entwicklung der ostdeutschen ländlichen Regionen beigetragen haben. „Ich kann mir vorstellen, dass ähnliche Strukturen auch in Polen sinnvoll sein könnten“, so der Vorsitzende des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften (BLG).
 

Nur gemeinsam Erfolg

Dr. Dieter Czech sieht in der Schaffung geeigneter Strukturen wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche ländliche Entwicklung. „Sie müssen zunächst die Strukturen für ein einheitliches Regionalmanagement schaffen, um auf dieser Basis weitere Schritte zu unternehmen“. Dies ermögliche beispielsweise, angebotene Förderprogramme effektiv zu nutzen. Am Ende der Tagung wurde deutlich, dass es für die gesamte Region von Vorteil sei, die Interessen zu bündeln und auf der Ebene der Region zusammenzuführen. Dabei müssten alle an einen Tisch kommen: Die Landwirtschaft, die gewerbliche Wirtschaft, berufsständische und andere Verbände, die Verwaltung und die Politik. Auf diese Weise sei es möglich, die vorhandenen Potenziale zu erkennen und zu nutzen.
- mü -
 

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